8 - Von Augenblick zu Augenblick

Während des Schreibens wandert mein Blick an die gegenüberliegende Wand zu meinem großen blauen Acrylbild, wird angezogen von dem gleißenden weißen Spalt in der Mitte, löst sich, um im tiefen Blau spazieren zu gehen, kommt wieder zurück zum Weiß und versinkt darin. Seit es über meinem Bett hängt, schlafe ich sehr gut. Allerdings musste ich es vertikal aufhängen, denn so, wie ich es gemalt habe, horizontal, ist die Energie zu stark für diesen Raum, besonders über dem Bett. Es ist sehr spannend, hängt es horizontal, dann springt das Weiß mir entgegen, fordert Raum, will Abstand, vertikal hingegen ist es genau umgekehrt, es zieht mich hinein in eine beruhigende Tiefe wie ein Blick bis zum Horizont.

Seit Anfang Juli bin ich zuhause von meiner Kunst umgeben, weil ich aus meinem Atelier ausgezogen bin. Das hatte verschiedene Gründe. Zum einen war die Miete zu hoch, dann war es in den Sommermonaten unerträglich heiß dort oben im 5. Stock mit Südwestausrichtung und leider ist keine Künstleretage entstanden, wie es vorher angedacht gewesen war. Außer einem weiteren Künstler sind Büros eingezogen, die zum Teil von allerlei merkwürdigem Publikum frequentiert wurden. Das erhoffte Miteinander mit kreativem Austausch blieb aus.

 

Wenn ich anknüpfe an meinen letzten Blogartikel, dann habe ich meinen Wunsch an uns alle selbst beherzigt und mich von Augenblick zu Augenblick bewegt in diesen ersten acht Monaten dieses Jahres, habe auf meine innere Stimme gehört, auf mein Herz, habe abgewogen, ganz viel vertraut und immer wieder losgelassen. Das hat dazu geführt, dass ich sowohl privat als auch im Atelier total reingeklotzt habe. Es ist eine praktische, handfeste, arbeitsreiche und auch anstrengende Zeit gewesen, in der es ums Machen ging, um Schaffensprozesse, aber auch um die Renovierung der Wohnung und damit verbunden Aussortieren  Ordnen, Aufräumen, Platz machen, so dass Du eine Weile nichts von mir gehört hast. Im Innen wie im Außen konnte ich noch einmal viel Ballast abwerfen, was sich sehr positiv auf meine laufenden bildhauerischen Arbeiten auswirkte, die alle in der verbliebenen Zeit fertig geworden sind und auf meinen kreativen Flow allgemein. 

 

Der ‚Handschmeichler‘ aus Carrara Marmor liegt gut in der Hand. Meine Holzarbeiten bilden eine Serie zum Thema Wunde und Schönheit, da alle Hölzer von umgestürzten oder kranken Bäumen stammen, die ansonsten entsorgt worden wären. Der ‚Lebenskreis‘ aus Lindenholz hat mich über die gesamte Atelierzeit beschäftigt. Ich habe nicht durchgängig daran gearbeitet. Ursprünglich hatte ich vor, ihn innen zu vergolden. Ein Sockel sollte das Ganze schwebender aussehen lassen. Schließlich verwarf ich alles, weil ich merkte, dass er nichts braucht, um zu wirken, außer sich selbst. Die gegebene Form, von allem Verfaulten befreit, die rehbraune Mittelschicht der Rinde vorsichtig herausgearbeitet, weich geschliffene Haut über den Spuren des Lebens, vor dem Vergessen bewahrt. ‚Needle Hole II‘ aus dem schönen hellen Lindenholz, ein Symbol für Engpässe im Leben, mit Ausblick auf das, was kommt, im Gedenken an die wunderschöne alte Linde vor dem Haus meiner Cousine, die gefällt werden musste. ‚Tree’s Eye Crying Over First Cut‘ ist mein erstes Stück gewesen. Der Anfang ist auf der Startseite meiner Website zu sehen. Die Skulptur hat endlich den finalen Sockel bekommen aus amerikanischem Kirschholz, sehr edel, wie ich finde. Die Marmorskulptur ‚Zeige deine Wunde‘ hat jetzt auch einen würdigen Sockel aus Schwarzer Belgier Marmor. Manchmal dauert es eben. 

In Vorbereitung auf den Atelierauszug trennte ich mich auch von einigem Holz, aber das riesige Stück derselben Linde, von der ‚Der Lebenskreis‘ abstammt, wollte ich unbedingt behalten. Da ich es damals alleine vom Park nach Hause gerollt hatte – klingt jetzt so einfach – klebte sehr viel getrocknete Erde und Sand in der äußeren Rinde. Um das Stück für später aufheben zu können, habe ich noch einige Tage mit Knüpfel und Beitel die schöne Mittelschicht der Rinde freigelegt.

Mein letztes fertiggestelltes Holzprojekt im Atelier war eine echte Herausforderung wegen der extremen Härte des Robinienholzes. Sowohl mit Knüpfel und Beitel als auch beim Schleifen kam ich nur Millimeter voran. Die Robinie war von Parasitenranken durchwirkt gewesen, die ihr über die Jahre die Kraft genommen hatten, bis sie schließlich umgestürzt war. Die erste Scheibe über dem Wurzelwerk hatte ich mit Markus in einem echten Kraftakt mit der Kettensäge abgeschnitten, lange trocknen lassen und schließlich von allem befreit, was nicht zu ihr gehörte. Die Form erinnert mich an eine Blume, zusammen mit ihren Jahresringen kam mir die Idee für die ‚Blume des Lebens‘. Auch sie hat eine weiche glatt geschliffene und eine rauere Seite, Wunde und Schönheit eben. Wir alle haben unsere Narben, die Teil unserer Geschichte sind, Teil dessen, wie wir geworden sind, was und wer wir sind.

Zuhause sind in der gleichen Zeit einige sehr schöne individuelle Bilder entstanden für Menschen und ihre wichtigen Anlässe, die mir sehr am Herzen lagen. 

Dann gibt es noch zwei kleine Plastiken, die mir viel Freude bereiten - ‚Riding The Big Thing Called Life‘ aus Lindenholz und Draht und ‚High Energy’ aus einer antiken Sprungfeder und einem Lavastein, den ich auf Lanzarote aus dem Garten César Manriques irgendwann einmal mitgenommen hatte.

Ein anderes Projekt waren die noch verbliebenen 28 Kisten mit Sachen meiner Mutter, die seit ihrem Tod vor zehn Jahren in meinem Keller standen und seit einiger Zeit bereits meine Aufmerksamkeit forderten. Die Leidenschaft meiner Mutter waren Antik- und Flohmärkte gewesen. So sind im Laufe der Jahre sehr viele wunderschöne Dinge zusammengekommen. Es war damals schwer für mich, ihre Wohnung aufzulösen und mich von allem zu trennen. Also waren die besagten 28 Kisten übrig geblieben. Es hatte sich nun bereits eine ganze Weile belastend angefühlt, die vielen Dinge in meinem Keller zu haben, ohne sie benutzen zu können. Also, im Juni war es soweit, alle Kisten ins Atelier und ganz radikal und entschlossen ans Aussortieren gemacht. Dabei fand ich einen kleinen Stuhl, den ich 1989 für meine Mutter gefertigt hatte und der mir völlig aus dem Gedächtnis gefallen war. Ich habe ihn jetzt restauriert und freue mich daran.

Wie anstrengend die Monate gewesen waren bekam ich mitten im größten Trubel vor dem Auszug aus dem Atelier zu spüren, als ich mich morgens im Bett umdrehte und das Gefühl hatte, einen Berg hinunter zu kullern. Anhaltender, extremer Schwindel mit starker Übelkeit. Eine grausame Erfahrung. Lagerungsschwindel wurde diagnostiziert. Ich bekam ein Medikament gegen die Übelkeit, um die Übungen machen zu können, die nötig sind, damit sich die Otolithen (Ohrensteine) in den hinteren Bogengängen des Innenohrs nahe dem Gleichgewichtsorgan wieder an die richtigen Stellen zurückbewegen. Was man alles bekommen kann, wenn es dem Körper zu viel wird!

 

Nach dem Umzug habe ich mich dann erstmal ausgeruht und das Gefühl genossen, dass alles geschafft, bewältigt, geordnet, geregelt und auf dem neusten Stand war und dass ich meine Projekte noch hatte beenden können. Der warme Geruch des Holzes, der mir so wohlig entgegengekommen war, wenn ich mein Atelier betrat, hat sich nun hier zuhause ausgebreitet und wohin ich auch schaue, sehe ich die Früchte meiner Arbeit, die mich zu Neuem inspirieren.  So fiel mir z.B. neulich meine Pastellkreide in die Hände und zündete sofort eine kreative Lust. ‚No‘ und ‚Yes‘ sind dabei herausgekommen. Aber da geht noch mehr. Es macht Spaß, damit zu experimentieren und meine ureigene Technik mit der Kreide zu finden.

Es ist nur eine Übergangszeit ohne Atelierraum. Da ich jetzt sowieso wieder Lust habe zu malen, was ich sehr gut auch zuhause tun kann, passt das gerade. Einige Tage fühlte ich mich dennoch wie amputiert nach dem Auszug dort, hatte der Raum über die zwei Jahre doch an Atmosphäre und Ausstrahlung gewonnen und bis in jede Ritze meine Energie aufgesogen. Markus hatte auch zunehmend seine Projekte dort bearbeitet, so waren wir häufig gemeinsam dort, was uns beiden sehr gefallen hat. Die Entscheidung 2017 das Atelier anzumieten, ist für mich ein ganz wichtiger Schritt gewesen. Es hat in mir zu einem viel größeren Selbstverständnis über mich geführt, zu mehr Selbstsicherheit, Selbstvertrauen und vor allem zu einem kreativen Schub, wie ich ihn nie für möglich gehalten hätte. Ich habe mich ausgedehnt. Noch nie im Leben hatte ich so sehr das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein, war ich so voll Vertrauen und Zuversicht wie jetzt. Und es entwickelt sich ständig weiter. Alles fällt an seinen Platz.

 

Seit ein paar Monaten drängt sich plötzlich auch meine andere Leidenschaft, wieder in mein Leben, mein Interesse an Menschen und ihren Themen, Sorgen und Nöten. Vor zweieinhalb Jahren hatte ich das bewusst geparkt. Ich war damals nicht soweit. Intuitiv hatte ich gespürt, dass der Weg für mich über die Kunst gehen muss. 

 

Im Juli war ich mit Markus in Italien zu einer Fortbildung im Rahmen des Metaforum Sommercamps, bei dem eine herausragende Anzahl an Experten und Expertinnen aus den Anwendungsfeldern Coaching, Therapie, Wirtschaft und Beruf, Gesundheit sowie Spiritualität und Körperarbeit Vorträge, Seminare und Workshops anboten in einem Kloster in Abano Terme in der Nähe von Padua. Um Hypnosystemische Konzepte ging es eine Woche lang bei dem wunderbaren Dr. Gunther Schmidt, dem Leiter des Milton Erickson Instituts in Heidelberg und Gründer der sysTelios Klinik, einer privaten Akutklinik für Psychotherapie und psychosomatische Gesundheitsentwicklung.

Der hypnosystemische Ansatz in Coaching und Therapie setzt sich zusammen aus Elementen der Familientherapie (systemisch) und der Hypnosetherapie von Milton Erickson in Verbindung mit den neuesten Erkenntnissen der Hirnforschung. Danach sind wir nicht einzelne Personen, sondern Netzwerke aus unzähligen Erlebenssequenzen – Ich-Erleben genannt - die im Laufe unseres Lebens in uns zusammengekommen sind und ein hochkompetentes System darstellen. Sehr erhellend und erleichternd für mich die Nachricht, dass nicht die Vergangenheit unser Erleben in der Gegenwart erzeugt, sondern das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt richten. Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf ein Problemerleben aus der Vergangenheit, dann ist das für unser Gehirn ein reales Jetzt-Erleben. Anstelle von Ursachenforschung wie früher, wird geschaut, wie in der Arbeit mit Klienten durch Aufmerksamkeitsfokussierung dieses hochkompetente System angemessen, zieldienlich und selbstwirksam genutzt werden kann, um neues, verändertes Erleben zu erzeugen. Dieses sehr spannende und hochinteressante Thema ist in mir auf sehr fruchtbaren Boden gefallen, um nicht zu sagen, es hat eingeschlagen, wie ein dicker Stein in stilles Wasser und die Wellen schwappen. Ich bleibe am Ball und werde es weiter vertiefen. So komme ich meinem Wunsch, mich beruflich in beiden Bereichen zu entfalten, in Kunst und Beratung, ein großes Stück näher.

Ganz aktuell fühle ich mich sehr aufgeregt wegen meiner Teilnahme an der ART Kreuzberg jetzt am Wochenende. Über 100 Künstler*innen zeigen in ihren Ateliers, in Galerien oder an anderen Veranstaltungsorten am 7. und 8. September 2019 jeweils von 13-20 Uhr ihre Arbeiten in Kreuzberg rund um den Bergmann- und Graefekiez und ich bin dabei. YEAH! Ich hatte mich als externe Künstlerin mit meinen vier großen Acrylbildern der Serie ‚ZUM LICHT‘ und einer Skulptur im Mai um eine Ausstellungsfläche beworben und bin sehr glücklich, dass es geklappt hat. Die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde stellt mir einen sehr exponierten Raum zur Verfügung. Mein Ausstellungsort ist die Durchfahrt zum Hof in der Bergmannstr. 22 gleich links neben dem Café Breakout mitten im Herzen Kreuzbergs. 

Über meine Homepage und die sozialen Medien bin ich ja bereits an die Öffentlichkeit gegangen, was sich jedoch mehr oder weniger im Rahmen der bekannten Menschen bewegt. Live auszustellen ist nochmal ganz etwas anderes. Erstmals aktiv Teil einer großen Community zu sein und mich ganz öffentlich auch fremden Menschen mit meinen Arbeiten zu präsentieren, fühlt sich richtig toll an. Die letzten Vorbereitungen laufen, jetzt muss nur noch das Wetter schön bleiben!

 

Zwei weitere Ausstellungen habe ich bereits im Visier, aber darüber berichte ich Dir, wenn es soweit ist. Plötzlich ergeben sich Möglichkeiten, einfach so aus dem Nichts.

 

So habe ich mich in den letzten Jahren Stück für Stück hervorgewagt, mit mir selbst und mit meinen kreativen Arbeiten. Wenn ich vier Jahre zurückblicke in die Zeit, als ich mein altes Berufsleben hinter mir gelassen habe, dann sehe ich nicht dieselbe Person wie heute. Wandel, Wachstum, Reifung ist passiert. Ich bin froh, dass ich auf mein Herz gehört und darauf vertraut habe, dass das Leben uns unterstützt, wenn wir unseren Weg unbeirrt gehen. Wie Du siehst, stelle ich mir nicht mehr diese Fragen wie im letzten Jahr, ob es genug ist oder gut genug, wie meine Tage auszusehen haben etc. Ich bewege mich einfach vorwärts von Augenblick zu Augenblick und mache das jeweils Naheliegende, im Vertrauen darauf, dass es das ist, was dran ist. Und ich freue mich sehr, dass ich das alles mit Dir teilen kann. 

 

Danke fürs Lesen.

Danke fürs Teilen.

 

Bis zum nächsten Mal,

herzlichst,

 

Petra Froese

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LINKS:

Hier kommst Du zur offiziellen Website der 10. ART Kreuzberg.

Falls Du neugierig auf Dr. Gunther Schmidt geworden bist, erfährst Du hier mehr.

Hier kommst Du zur Seite des Metaforum Sommercamps.

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Kommentare: 1
  • #1

    Vera (Samstag, 07 September 2019 08:45)

    Ein wunderbarer Mensch mit wunderschönen Werken bist du liebe Petra! Ich liebe den Stuhl!!!!